Differentialrechnung

Man sollte ja meinen, dass einem so eine Quarantäne jede Menge Freizeit und besser noch Zeit zum Schrauben verschafft. Aber leider muss ich feststellen, dass dem nur bedingt so ist. Klar, Dank Homeoffice fällt die tägliche Fahrzeit von vier Stunden weg, aber ansonsten gibt es leider keine spürbaren Zeitgewinne, da das Kind praktische die gesamte Aufmerksamkeit einfordert. 

 

Aber ich will mich nicht beschweren, denn immerhin kann ich mich -über mehrere Tage verteilt- endlich um meine Hinterachse und hier insbesonder um das Differential kümmern. Ausgebaut liegt dieses jetzt schon seit einiger Zeit in der Werkstatt. Mein Ziel ist es, das Differential zu lackieren, und zwar im Mercedes typischen astralsilber. Typisch bedeutet an der Stelle nicht, dass das Differential des 107ers im Original silber ist. Meines Wissens ist es schwarz. Aber mir persönlich gefällt es in silber einfach besser, weil es einen schönen Kontrast zu den anderen, zumeist schwarzen Bauteilen wie Antriebswellen, Kardanwelle etc. darstellt. 

 

In dem Zusammenhang habe ich übrigens sehr lange überlegt und mich schlau gemacht, auf welche Art und Weise ich die Farbe auftrage. Soll heißen, nehme ich klassischen Lack (und wenn ja welchen?) oder lasse ich die Teile, bei denen es geht, pulverbeschichten. Letzteres hat einige Vorteile, vor allem den, dass die Pulverbeschichtung sehr widerstandsfähig ist. Bei Teilen in Bodennähe, wo mit Steinschlag etc. zu rechnen ist, ein klares Argument dafür. Allerdings gibt es in diversen Foren auch immer wieder Berichte, die sagen, dass man bei einer Pulverbeschichtung praktisch keine Chance hat zu erkennen, ob es darunter ggf. rostet. Das sieht und merkt man dann -anders als bei Lack- erst wenn es bereits viel zu spät ist, z.B. wenn das betroffene Teil bricht. Hinzu kommt natürlich, dass man eine Pulverbeschichtung nicht ohne weiteres selber vornehmen kann. Die Pulverpistole ist nicht das Problem, die gibt es für relativ kleines Geld zu kaufen. Aber einen Ofen, in den eine Hinterachse passt, haben die wenigsten zuhause. Ich habe mir zwar schon eine Bauanleitung und die Grund-Komponenten für einen Hobby-Brennofen besorgt, aber ganz ehrlich: der Aufwand, die Kosten für das Gehäuse und der Platzbedarf, den ein weiteres großes Teil benötigt, sind mir einfach zu groß für die paar Teile. Da ich aber weiterhin so wenig Arbeit wie möglich von Externen erledigen lassen möchte, tendiere ich zum Lackieren. Ich habe mich deshalb von den Fachleuten des Korrosionsschutz-Depots beraten lassen. Die Verkäufer dort haben sich sehr viel Zeit genommen, mein Vorhaben und den Zustand der Teile genau zu verstehen und haben mir schließlich zu einer Lackierung mit Brantho Korrux 3+1 geraten. Brantho Korrux ist eine Rostschutzfarbe mit einigen Pluspunkten ggü. einem regulären Lack: sie ist sehr strapazierfähig (ähnlich wie eine Pulverbeschichtung), kratzfest, hat eine sehr gute Deckkraft (wichtig für die Kanten) und es gibt sie in praktisch allen Farbtönen. Im Prinzip kann man sie sogar als Unterbodenschutz verwenden (wobei ich persönlich hier sicherheitshalber eine Schicht "echten" Unterbodenschutzes darunter legen wurde). Ich folge der Empfehlung und habe mir also 1L Brantho Korrux in astralsilber mischen lassen und 2L schwarz bestellt.

 

Aber bevor der Spaß beginnt, muss das Differential für's Lackieren vorbereitet werden. Das sollte sich als recht zeitaufwendig herausstellen... Wie fast alle Arbeiten steht hier zunächst mal eine Grobreinigung an. Hochdruckreiniger, kurze Hose, etwas Schaum und jalla jalla. Zwar erkennt man danach einen kleinen Unterschied, aber das gute Teil ist so verölschlammt, da hat mein Lidl-Hochdruckreiniger keine Chance. Ich muss hier mit mehr Chemie ran... aber da die Antriebswellen noch dran sind, ist das alles etwas schwer (im wahrsten Sinne des Wortes). Die müssen also zunächst mal ab, damit man das kleine Schweinchen besser tragen und drehen kann. Für die Ölablassschraube fehlt mir dummerweise ein passender Inbus, deshalb wähle ich den brutalen Weg und öffne direkt den hinteren Deckel, um das Öl abzulassen. Die 15er Sechskantschrauben leicht lösen und den Deckel vorsichtig etwas abziehen, so dass die rd. 1,2 Liter abfließen können. Danach kann der Deckel ganz abgenommen werden, um die Antriebswellen zu entfernen. Die sind im Inneren des Differentials mit jeweils einem Sprengring gesichert. Mit einer gebogenen Seegeringzange lassen die sich gut entfernen, anschließend kann man die Antriebswellen einfach nach außen herausziehen. Ging einfach als ich dachte, denn ehrlich gesagt hatte ich vor dem Differential bisher ziemlich großen Respekt. Der wird nicht unbedingt weniger, wenn man sich das Innere mal anschaut... Auch wenn der Mechanismus eigentlich recht einfache Physik ist, in meinen Laien-Augen ist das richtig hohe Ingenieurskunst und ich frage mich, wie lange der Herr Differenzial seinerzeit getüftelt hat, bis seine Idee zum ersten mal funktioniert hat. Ich drehe also noch etwas an der Eingangswelle und schaue mir ziemlich begeistert an, wie sich Kegelrad, Differenzialkorb und Ausgleichsräder drehen. Könnte ich jetzt stundenlang zugucken. Es kann manchmal so einfach sein... aber ich wollte ja eigentlich reinigen.

 

Hierfür erhitze ich in einem Kessel einen fiesen alkalischen Reiniger auf rd. 60 Grad Celsius. Das sollte eigentlich gut funktionieren und auch den hartnäckigsten Schmutz beseitigen. Mit diesem Gebräu, einem Schwamm, einer Bürste und einem Topfreiniger, der sich als Super-Waffe gegen Ölschlamm herausstellen soll, geht's ans Werk. Gefühlt vergingen so 12 Stunden, in Wirklichkeit war es vermutlich nur eine. Aber ist halt nicht unbedingt Spaß in Dosen... besonders übrigens nicht, wenn man das mit nicht wasser- und säuredichten Handschuhen macht. Ich Doof! Ich merke erst deutlich zu spät, dass der Reiniger nicht nur Öl sondern auch Haut ganz prima entfernt. Meine Finger bluten an Stellen, die heute morgen definitiv noch völlig intakt waren. So ziemlich alle Fingerkuppen sind an den Nagelbetten und die Haut an den Fingergelenken weggeätzt und brennen wie Feuer. Herrje... da kommt erstmal Bepanthen drauf. Aber Hauptsache, das Differenzial ist schön sauber und weitestgehend fettfrei.

 

100%ig zufrieden bin ich allerdings mit dem Ergebnis nicht und ich habe arge Zweifel, dass das schon eine ausreichende Basis für eine Lackierung ist. Denn das Gehäuse hat einfach so viele Ecken, Nischen, Kanten, die mit dem Schwamm einfach nicht zu erreichen waren und die entsprechend nicht komplett sauber geworden sind. Ich schlafe eine Nacht über das Problem und werde mit der Erkenntnis geweckt, dass ich das Differenzial weiter auseinander nehmen werde. Kann ja so schwer nicht sein. Zumindest nicht, solange ich die Finger von der Einlasswelle lasse. Diese auszubauen ist vermutlich relativ einfach, der Einbau aber dafür umso schwerer (Stichworte: Schleppmoment & Vorspannung). Das erspare ich mir und beschränke mich auf die seitlichen Deckel, durch die die Antriebswellen bis gestern verliefen. Die sind lediglich durch eine Handvoll 13er Sechskantschrauben verschraubt und meine naive Vorstellung war, dass man diese entfernt und den Deckel dann einfach abnehmen kann. So schnell geht's aber nicht, denn die Deckel liegen nicht einfach nur auf der Außenseite des Gehäuses aus sondern sie haben Flanken, die gut 5cm ins innere ragen und so verdammt genau passen, dass man dafür eigentlich einen speziellen Abzieher braucht. Habe ich natürlich nicht. Also versuche ich, die Deckel so gut und gleichzeitig vorsichtig wie möglich mit einem Schraubenzieher abzuhebeln. Zumindest soweit, bis ich zwei Schrauben durch die Löcher stecken kann. Zwischen Deckel und Gehäuse platziere ich dann noch zwei Muttern und fertig ist der Russen-Abzieher. Primitiv, aber funktioniert einwandfrei. So bekomme ich die beiden Deckel dann in relativ kurzer Zeit herunter. Vorsicht dabei: die Deckel und vor allem die darunter liegenden Distanzscheiben dürfen auf keinen Fall verwechselt werden. Die Scheiben sind unterschiedlich dick, wenn sie anschließend seitenverkehrt verbaut werden, kann das zu unteschiedlichen/falschen Axialspiel auf dem Achswellenrad führen und im schlimmsten Fall das Differenzial zerstören. Nachdem beide Deckel abgebaut sind, lässt sich das Innenleben in Form des Kegelrads, Korb usw. in einem Stück entnehmen. 

 

Im nächsten Schritt sollen die Einzelteile nun gesandstrahlt werden. Damit dabei aber möglichst kein Sand ins Innere des Differenzials gelangen kann, wo ich ihn nur schwer wieder herausbekomme, müssen alle Öffnungen verschlossen werden. Also Deckel hinten wieder aufschrauben, für die Seitendeckel säge ich mir passende Stücke aus einer Mehrschicht-Holzplatte aus. Das Differenzial passt gerade so in meine Strahlkabine und ich muss mich etwas verrenken, um alle Ecken zu erwischen. Aber schließlich bin ich mit dem Ergebnis zufrieden.

 

Fürs Lackieren müssen noch die Schrauben abgeklebt werden, außerdem nehme ich den hinteren Deckel wieder ab und klebe die Öffnung mit Kreppband ab (nicht zu verwechseln mit Crepesband!). Schnell noch alles mit Pressluft abblasen und das letzte Fett mit Silikonentferner abwaschen. Dann kommt die erste Lage Bantho-Korrux. Damit sich der Lack mit meiner 1.3er Düse spritzen lässt, muss er relativ stark verdünnt werden (ca.15-20%). Das hat den Nachteil, dass man mindestens vier, besser fünf Schichten auftragen muss. Zwischendurch immer mind. 30min ablüften lassen, ist also eine längere Aktion. Aber, das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Zwar ist der Metallic-Effekt beim Bantho-Korrux nicht so schön wie bei Karosserie-Lack, aber mir gefällt's trotzdem sehr gut. 

 

In den nächsten Tagen werde ich noch die Simmerringe und Dichtringe an den Antriebswellen erneuern und anschließend das Differenzial wieder zusammenbauen. In der Zwischenzeit kann ich mir dann Gedanken machen, wie ich das Schmuckstück eigentlich jemals der Außenwelt präsentieren kann. Ich brauche einen Glasboden im Kofferraum oder einen verspiegelten Boden in der Garage...

 

 

Dauer der Arbeiten: 6 Stunden

 

 

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Reinhard (Sonntag, 12 April 2020 21:56)

    Was für eine Arbeit - die der Lackierung und die der Darstellung für den interessierten Leser.
    Hut ab und weiter so!

    Gruß Reinhard